2023 Installation
painting: inc and riversand of Danube, Ilz and Inn in acrylic on paper, 40x1.5m
water, glazed ceramic vessels, pvc hoses, pumps, mounting rails, LED stripes
[...] In 2013, the Passau was engulfed by the Danube, Inn, and Ilz rivers. The overflowing waters flooded large parts of the city, including the sculpture space of the MMK. In the exhibition, its walls were extensively covered with paper works in reference to the centennial flood, depicting the evolution of humanity from its beginning as a fish in an artistically abstract manner. The organic forms painted with pigment, river sand, and water appear to flow over their curved background, reminiscent of the waves from which they originated.
The Danube absorbs the other two rivers, it swallows them. Hartmann confuses this elemental power dynamic in her installation in the middle of the space. PVC hoses wind their way along the columns from clay vessels on the floor, ultimately returning to their starting point. The water flowing through them is thus placed in an artificially created cycle, far from any natural flow, while the length of the hoses and the interior glaze of the vessels reference the actual shapes of the three Passau rivers. Each representant of the Danube, Inn, and Ilz becomes an independent, self-contained water body, whose paths repeatedly cross in space but never become one.
By merging metaphorical and biological processes, natural and artistic processes, as well as the creative human hand and life-defining natural forces, Hartmann demonstrates in the site-specific exhibition 'Aufschlucken' (hiccupping) the interconnection of human interaction with their environment. [...]
Bettina Biebl
Wer schluckt wen – auf?
Mit dieser Frage beginnt Theresa Hartmann ihr für die Vernissage konzipiertes Soundreading und eröffnet damit gleichzeitig die Schlüsselfrage der Ausstellung „Aufschlucken“, der sie sich im Museum Moderner Kunst Wörlen Passau auf multimediale Weise nähert.
Obwohl der biologische Vorgang des Schluckens für Säugetiere längst automatisiert ist, zeugt die Fähigkeit Nahrungs- und Sauerstoffaufnahme zu trennen bis heute von der menschlichen Vergangenheit als Fisch. Der vor etwa 380 Mio. Jahren lebende Tiktaalik war hierbei eines der ersten Wasserlebewesen, welches sich durch seine kräftigen Flossen an Land bewegen und sich aufgrund seiner amphibienähnlichen Atmung dort auch länger aufhalten konnte. Auf letzteres ist auch – so der Stand der Wissenschaft – das dieser Tage nur noch lästig erscheinende Phänomen des Schluckaufs zurückzuführen. Allerdings hilft das fälschliche Zusammenziehen der Stimmritze bis heute ebenso der Entwicklung des menschlichen Atmungssystems im Wasser, nämlich im Fruchtwasser. Und auch nach der Zeit im Mutterleib bleibt ein jedes Säugetier ein Wasserkörper. Ein Körper, der aus Wasser besteht, auf Wasser angewiesen ist und mit anderen Wasserkörpern seines Ökosystems interagiert. Doch wer schluckt wen – auf?
2013 schluckten Donau, Inn und Ilz die Drei-Flüsse-Stadt. Die über die Ufer tretenden Wassermassen fluteten weite Teile Passaus, darunter auch den Skulpturenraum des MMKs. Dessen Wände wurden in Anlehnung an das Jahrhunderthochwasser großflächig mit Papierarbeiten verkleidet, welche die Entwicklung des Menschen vom Anbeginn seiner Existenz als Fisch auf künstlerisch-abstrakte Weise wiedergeben. Die mit Pigment, Flusssand und -wasser gemalten organischen Formen scheinen gleich den Wellen, denen sie entsprungen sind, über ihren geschwungenen Untergrund zu fließen. In ihrer Persistenz werden sie dadurch zu ähnlich unberechenbaren Gebilden, wie jene vor der Fassade dahinrauschenden Flüsse. Ihre leuchtenden Farben wirken hingegen konträr zu den braunen Schlammmassen, in denen das Passauer Stadtbild vor zehn Jahren versank. Die hinter den Malereien angebrachte, im Wasser stehende Beleuchtung verweist zudem auf einen möglichen Wasserstand innerhalb des nicht ebenen Skulpturenraums, wodurch das bunte Treiben immer wieder auf entsprechender Höhe vom Licht geschluckt wird.
Während des Jahrhunderthochwassers schien es sowohl irrelevant als auch unerkennbar, welche Strömung das schlammige Wasser wieder abfließen ließ. Zehn Jahre später ist der Zufluss von schwarzbrauner Ilz und türkisem Inn in die tiefblaue Donau allerdings wieder klar zu erkennen. Die Donau verleibt sich die beiden anderen Flüsse ein, sie schluckt sie. Genau dieses elementare Machtgefüge verwirrt Hartmann in ihrer Installation in der Raummitte. Aus am Boden stehenden Tongefäßen winden sich PVC-Schläuche entlang der Säulen, um letztlich wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückzufinden. Das darin fließende Wasser befindet sie somit in einem künstlich erzeugten Kreislauf fern jeden natürlichen Fließens, wohingegen die Länge der Schläuche und die Innenglasur der Gefäße Bezug auf die tatsächliche Gestalt der drei Passauer Flüsse nehmen. So wird ein jedes Ebenbild von Donau, Inn und Ilz zu einem eigenständigen, in sich geschlossenen Wasserkörper, deren Wege sich zwar wiederholt im Raum kreuzen, aber nie einen werden. Dahingehend löst die Künstlerin die Gewässer aus den sie bestimmenden Naturgewalten und schickt sie auf einen artifiziellen Irrweg im architektonischen Raum. Die Frage, welcher Fluss nun die Strömung der anderen in sich aufnimmt, stellt sich durch ihren zirkulären Verlauf nicht mehr. Ihr Ursprung ist ihr Ende und ihre Reise ist ohne Ziel. Statt voneinander geschluckt zu werden, schlucken sich die Gewässer stets aufs Neue selbst – auf.
Der Mensch schluckt Wasser und dennoch schluckt das Wasser den Menschen?
Die Donau schluckt Inn und Ilz und gemeinsam schlucken sie Passau?
Schluckt uns die Welt, weil wir versucht haben sie zu schlucken?
Mit der Verschmelzung metaphorischer und biologischer Vorgänge, natürlicher und künstlerischer Prozesse sowie schaffender Menschenhand und lebensentscheidender Naturgewalten zeigt Hartmann in der ortspezifischen Ausstellung „Aufschlucken“ die Verflechtung menschlicher Interaktion mit ihrer Umwelt. Dabei berührt sie fortwährend globale Krisen der Gegenwart, welche auch im privaten Kosmos eines jeden zu Tage treten. Besonders das vergangene und in Zukunft nötige Handeln zur Eindämmung des menschengemachten Klimawandels sowie die Identitätsfindung inmitten einer auseinanderdriftenden Welt lassen viele mit dem Gefühl zurück, in deren Strudel unterzugehen. Theresa Hartmanns Ausstellung versucht darauf eine Antwort zu geben, indem sie ihr Publikum einlädt im Sinne der Überforderung der Welt auch einmal zu ver - schwimmen.
Bettina Biebl
shown at Museum Moderner Kunst Wörlen Passau
Photographs: Theresa Hartmann
2023 Installation
painting: inc and riversand of Danube, Ilz and Inn in acrylic on paper, 40x1.5m
water, glazed ceramic vessels, pvc hoses, pumps, mounting rails, LED stripes
[...] In 2013, the Passau was engulfed by the Danube, Inn, and Ilz rivers. The overflowing waters flooded large parts of the city, including the sculpture space of the MMK. In the exhibition, its walls were extensively covered with paper works in reference to the centennial flood, depicting the evolution of humanity from its beginning as a fish in an artistically abstract manner. The organic forms painted with pigment, river sand, and water appear to flow over their curved background, reminiscent of the waves from which they originated.
The Danube absorbs the other two rivers, it swallows them. Hartmann confuses this elemental power dynamic in her installation in the middle of the space. PVC hoses wind their way along the columns from clay vessels on the floor, ultimately returning to their starting point. The water flowing through them is thus placed in an artificially created cycle, far from any natural flow, while the length of the hoses and the interior glaze of the vessels reference the actual shapes of the three Passau rivers. Each representant of the Danube, Inn, and Ilz becomes an independent, self-contained water body, whose paths repeatedly cross in space but never become one.
By merging metaphorical and biological processes, natural and artistic processes, as well as the creative human hand and life-defining natural forces, Hartmann demonstrates in the site-specific exhibition 'Aufschlucken' (hiccupping) the interconnection of human interaction with their environment. [...]
Bettina Biebl
Wer schluckt wen – auf?
Mit dieser Frage beginnt Theresa Hartmann ihr für die Vernissage konzipiertes Soundreading und eröffnet damit gleichzeitig die Schlüsselfrage der Ausstellung „Aufschlucken“, der sie sich im Museum Moderner Kunst Wörlen Passau auf multimediale Weise nähert.
Obwohl der biologische Vorgang des Schluckens für Säugetiere längst automatisiert ist, zeugt die Fähigkeit Nahrungs- und Sauerstoffaufnahme zu trennen bis heute von der menschlichen Vergangenheit als Fisch. Der vor etwa 380 Mio. Jahren lebende Tiktaalik war hierbei eines der ersten Wasserlebewesen, welches sich durch seine kräftigen Flossen an Land bewegen und sich aufgrund seiner amphibienähnlichen Atmung dort auch länger aufhalten konnte. Auf letzteres ist auch – so der Stand der Wissenschaft – das dieser Tage nur noch lästig erscheinende Phänomen des Schluckaufs zurückzuführen. Allerdings hilft das fälschliche Zusammenziehen der Stimmritze bis heute ebenso der Entwicklung des menschlichen Atmungssystems im Wasser, nämlich im Fruchtwasser. Und auch nach der Zeit im Mutterleib bleibt ein jedes Säugetier ein Wasserkörper. Ein Körper, der aus Wasser besteht, auf Wasser angewiesen ist und mit anderen Wasserkörpern seines Ökosystems interagiert. Doch wer schluckt wen – auf?
2013 schluckten Donau, Inn und Ilz die Drei-Flüsse-Stadt. Die über die Ufer tretenden Wassermassen fluteten weite Teile Passaus, darunter auch den Skulpturenraum des MMKs. Dessen Wände wurden in Anlehnung an das Jahrhunderthochwasser großflächig mit Papierarbeiten verkleidet, welche die Entwicklung des Menschen vom Anbeginn seiner Existenz als Fisch auf künstlerisch-abstrakte Weise wiedergeben. Die mit Pigment, Flusssand und -wasser gemalten organischen Formen scheinen gleich den Wellen, denen sie entsprungen sind, über ihren geschwungenen Untergrund zu fließen. In ihrer Persistenz werden sie dadurch zu ähnlich unberechenbaren Gebilden, wie jene vor der Fassade dahinrauschenden Flüsse. Ihre leuchtenden Farben wirken hingegen konträr zu den braunen Schlammmassen, in denen das Passauer Stadtbild vor zehn Jahren versank. Die hinter den Malereien angebrachte, im Wasser stehende Beleuchtung verweist zudem auf einen möglichen Wasserstand innerhalb des nicht ebenen Skulpturenraums, wodurch das bunte Treiben immer wieder auf entsprechender Höhe vom Licht geschluckt wird.
Während des Jahrhunderthochwassers schien es sowohl irrelevant als auch unerkennbar, welche Strömung das schlammige Wasser wieder abfließen ließ. Zehn Jahre später ist der Zufluss von schwarzbrauner Ilz und türkisem Inn in die tiefblaue Donau allerdings wieder klar zu erkennen. Die Donau verleibt sich die beiden anderen Flüsse ein, sie schluckt sie. Genau dieses elementare Machtgefüge verwirrt Hartmann in ihrer Installation in der Raummitte. Aus am Boden stehenden Tongefäßen winden sich PVC-Schläuche entlang der Säulen, um letztlich wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückzufinden. Das darin fließende Wasser befindet sie somit in einem künstlich erzeugten Kreislauf fern jeden natürlichen Fließens, wohingegen die Länge der Schläuche und die Innenglasur der Gefäße Bezug auf die tatsächliche Gestalt der drei Passauer Flüsse nehmen. So wird ein jedes Ebenbild von Donau, Inn und Ilz zu einem eigenständigen, in sich geschlossenen Wasserkörper, deren Wege sich zwar wiederholt im Raum kreuzen, aber nie einen werden. Dahingehend löst die Künstlerin die Gewässer aus den sie bestimmenden Naturgewalten und schickt sie auf einen artifiziellen Irrweg im architektonischen Raum. Die Frage, welcher Fluss nun die Strömung der anderen in sich aufnimmt, stellt sich durch ihren zirkulären Verlauf nicht mehr. Ihr Ursprung ist ihr Ende und ihre Reise ist ohne Ziel. Statt voneinander geschluckt zu werden, schlucken sich die Gewässer stets aufs Neue selbst – auf.
Der Mensch schluckt Wasser und dennoch schluckt das Wasser den Menschen?
Die Donau schluckt Inn und Ilz und gemeinsam schlucken sie Passau?
Schluckt uns die Welt, weil wir versucht haben sie zu schlucken?
Mit der Verschmelzung metaphorischer und biologischer Vorgänge, natürlicher und künstlerischer Prozesse sowie schaffender Menschenhand und lebensentscheidender Naturgewalten zeigt Hartmann in der ortspezifischen Ausstellung „Aufschlucken“ die Verflechtung menschlicher Interaktion mit ihrer Umwelt. Dabei berührt sie fortwährend globale Krisen der Gegenwart, welche auch im privaten Kosmos eines jeden zu Tage treten. Besonders das vergangene und in Zukunft nötige Handeln zur Eindämmung des menschengemachten Klimawandels sowie die Identitätsfindung inmitten einer auseinanderdriftenden Welt lassen viele mit dem Gefühl zurück, in deren Strudel unterzugehen. Theresa Hartmanns Ausstellung versucht darauf eine Antwort zu geben, indem sie ihr Publikum einlädt im Sinne der Überforderung der Welt auch einmal zu ver - schwimmen.
Bettina Biebl
shown at Museum Moderner Kunst Wörlen Passau
Photographs: Theresa Hartmann